Anlässlich des Beginns des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses am 20. Dezember 1963 findet am Montag eine Gedenkveranstaltung im Gebäude des Landgerichts Frankfurt statt, die vom Hessischen Ministerium der Justiz und von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt organisiert worden ist.
Justizminister Roman Poseck wird dort eine Rede halten. Außerdem wird Dr. Nicola Wurthmann, Abteilungsleiterin des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, über das Thema „NS-Völkermord vor Gericht. Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess, seine Nachwirkungen und Überlieferung“ referieren. Abgerundet wird die Veranstaltung durch eine Podiumsdiskussion, an der der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung Elmar Esser, der ehemalige Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Dr. Georg Falk, die Filmemacherin Isabel Gathof, die Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts Prof. Dr. Sybille Steinbacher und der ehemalige Oberstaatsanwalt Gerhard Wiese teilnehmen.
Meilenstein und ein Mahnmal deutscher Rechtsgeschichte
Zur Bedeutung des Auschwitz-Prozesses führt Justizminister Roman Poseck in seiner Rede unter anderem aus:
„Der Auschwitz-Prozess ist ein Meilenstein und ein Mahnmal deutscher Rechtsgeschichte. Er zeigt die Möglichkeiten und Grenzen der strafrechtlichen Aufarbeitung schwerster Menschheitsverbrechen auf. Dank des unermüdlichen Einsatzes des damaligen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer und seiner Mitarbeiter, wie zum Beispiel Gerhard Wiese, ist es gelungen, mehreren Angeklagten die persönliche Schuld und Verantwortung für schreckliche Taten im Lager Auschwitz nachzuweisen. Das Verfahren war, um mit den Worten Fritz Bauers zu sprechen, bittere, aber notwenige Arznei für das Nachkriegsdeutschland. Der Prozess hat deutlich werden lassen, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht etwas Abstraktes waren, sondern dass sie von Menschen - von Familienvätern und -müttern, von unseren Vorfahren - begangen wurden, die sehr große individuelle Schuld auf sich geladen haben. Gerechtigkeit hat auch dieses Verfahren in Anbetracht der Dimension der Verbrechen nicht bewirken können. Auch das „Warum“ ist weitgehend unbeantwortet geblieben.
Der Auschwitz-Prozess ist ein Gegenbeispiel für das weit verbreitete Schlussstrichdenken in der jungen Bundesrepublik. Die Justiz hat nicht nur in der NS-Zeit, sondern auch nach dem Krieg schwere Schuld auf sich geladen, indem sie sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - einer konsequenten strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen verweigert hat. Sie hat die juristischen Hürden für den Tatnachweis unvertretbar hoch angesetzt; erst viel zu spät, nämlich vor wenigen Jahren, hat die Rechtsprechung den Maßstab korrigiert und damit bis in die heutige Zeit Verurteilungen wegen Beihilfe an den Verbrechen in den Konzentrationslagern möglich gemacht. Von 106.772 wegen nationalsozialistischer Straftaten eingeleiteter Ermittlungsverfahren haben nur 169 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe geführt. Das ist in Anbetracht der Dimension des Holocausts ein beschämendes Ergebnis der juristischen Aufarbeitung.
Lebendige Erinnerungskultur ist unerlässlich
Eine lebendige Erinnerungskultur ist auch heute unerlässlich. Dies gilt erst recht in Zeiten des Erstarkens von Kräften am rechten Rand, die sehr bewusste und gleichzeitig unerträgliche Relativierungen des Holocausts vornehmen, indem sie für eine erinnerungspolitische Wende eintreten oder von einem Vogelschiss in der Geschichte sprechen.
Das „Nie wieder“ muss ein festes Band in unserer Gesellschaft bleiben. Das ist eine der Botschaften des Auschwitz-Prozesses, die auch nach 60 Jahren hoch aktuell ist. Es ist unerträglich, dass jüdisches Leben bei uns heute wieder bedroht ist. Dass sich nach dem Krieg wieder jüdisches Leben in Deutschland entwickelt hat, ist ein großes Geschenk. Wir müssen alles für den Schutz unserer jüdischen Bürgerinnen und Bürger unternehmen. Das ist auch eine Aufgabe für den Rechtsstaat, der gegen alle Formen des Antisemitismus mit Konsequenz vorgehen muss. Ich trete auch weiter dafür ein, das Existenzrecht Israels unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Wer den Staat Israel in seiner Existenz in Frage stellt, handelt in der Regel aus antisemitischen Motiven und verkennt, dass die Gründung des Staates Israel ein Schutzversprechen gewesen ist, das unmittelbar aus den von Deutschen verübten Verbrechen in den Jahren 1933 bis 1945 folgt.“